Max Planck Institute for the History of Science

Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte

























































Document link:

http://echo.mpiwg-berlin.mpg.de/ECHOdocuView

?url=

9.Eine Theorie der Grundlagen der Thermo-
dynamik;von A. Einstein.

--------

In einer neulich erschienenen Arbeit habe ich gezeigt,
daß
die Sätze vom Temperaturgleichgewicht und der Entropie-
begriff
mit Hülfe der kinetischen Theorie der Wärme her-
geleitet
werden können. Es drängt sich nun naturgemäß die
Frage
auf, ob die kinetische Theorie auch wirklich notwendig
ist
, um jene Fundamente der Wärmetheorie herleiten zu können,
oder
ob vielleicht bereits Voraussetzungen allgemeinerer Art
dazu
genügen können. Daß dieses letztere der Fall ist, und
durch
welche Art von Überlegungen man zum Ziele gelangen
kann
, soll in dieser Abhandlung gezeigt

§ 1. Über eine allgemeine mathematische Darstellung der Vor-
gänge
in isolierten physikalischen Systemen.

Der Zustand irgend eines von uns betrachteten physi-
kalischen
Systems sei eindeutig bestimmt durch sehr viele (n)
skalare
Größen p1, p2 ... pn, welche wir Zustandsvariabeln
nennen
. Die Änderung des Systems in einem Zeitelement dt
ist
dann durch die Änderungen dp1, dp2 ... dpn bestimmt,
welche
die Zustandsvariabeln in jenem Zeitelement

Das System sei isoliert, d. h. das betrachtete System stehe
mit
anderen Systemen nicht in Wechselwirkung. Es ist dann
klar
, daß der Zustand des Systems in einem bestimmten Zeit-
moment
in eindeutiger Weise die Veränderung des Systems
im
nächsten Zeitelement dt, d. h. die Größen dp1, dp2 ... dpn
bestimmt
. Diese Aussage ist gleichbedeutend mit einem System
von
Gleichungen von der

(1)

wobei die eindeutige Funktionen ihrer Argumente

Für ein solches System von linearen Differentialgleichungen
existiert
im allgemeinen keine Integralgleichung von der Form

welche die Zeit nicht explizite enthält. Für das Gleichungs-
system
aber, welches die Veränderungen eines nach außen
abgeschlossenen
, physikalischen Systems darstellt, müssen wir
annehmen
, daß mindestens eine solche Gleichung besteht, näm-
lich
die

Wir nehmen zugleich an, daß keine weitere, von dieser unab-
hängige
Integralgleichung solcher Art vorhanden

§ 2. Über die stationäre Zustandsverteilung unendlich vieler
isolierter
physikalischer Systeme, welche nahezu gleiche Energie
besitzen
.

Die Erfahrung zeigt, daß ein isoliertes physikalisches
System
nach einer gewissen Zeit einen Zustand annimmt, in
welchem
sich keine wahrnehmbare Größe des Systems mehr
mit
der Zeit ändert; wir nennen diesen Zustand den stationären.
Es
wird also offenbar nötig sein, daß die Funktionen i eine
gewisse
Bedingung erfüllen, damit die Gleichungen (1) ein
solches
physikalisches System darstellen

Nehmen wir nun an, daß eine wahrnehmbare Größe stets
durch
einen zeitlichen Mittelwert einer gewissen Funktion der
Zustandsvariabeln
p1 ...pn bestimmt sei, und daß diese Zu-
standsvariabeln
p1 ...pn immer wieder dieselben Wertsysteme
mit
stets gleichbleibender Häufigkeit annehmen, so folgt aus
dieser
Bedingung, welche wir zur Voraussetzung erheben wollen,
mit
Notwendigkeit die Konstanz der Mittelwerte aller Funk-
tionen
der Größen p1 ...pn; nach dem obigen also auch die
Konstanz
jeder wahrnehmbaren

Diese Voraussetzung wollen wir genau präzisieren. Wir
betrachten
ein physikalisches System, welches durch die Glei-
chungen
(1) dargestellt und dessen Energie E sei, von einem
beliebigen
Zeitpunkte an die Zeit T hindurch. Denken wir
uns
ein beliebiges Gebiet der Zustandsvariabeln p1 ...pn
gewählt
, so werden in einem bestimmten Zeitpunkt der Zeit
die
Werte der Variabeln p1 ...pn in diesem Gebiete ge-
legen
sein, oder sie liegen außerhalb desselben; sie werden
also
während eines Bruchteiles der Zeit T, welchen wir
nennen
wollen, in dem gewählten liegen. Unsere
Bedingung
lautet dann folgendermaßen: Wenn p1 ...pn Zu-

standsvariable eines physikalischen Systems sind, also eines
Systems
, welches einen stationären Zustand annimmt, so be-
sitzt
die Größe T für T = für jedes Gebiet einen be-
stimmten
Grenzwert. Dieser Grenzwert ist für jedes unend-
lich
kleine Gebiet unendlich

Auf diese Voraussetzung kann man folgende Betrachtung
gründen
. Seien sehr viele (N) unabhängige physikalische
Systeme
vorhanden, welche sämtlich durch das nämliche Glei-
chungssystem
(1) dargestellt seien. Wir greifen einen beliebigen
Zeitpunkt
t heraus und fragen nach der Verteilung der mög-
lichen
Zustände unter diesen N Systemen, unter der Voraus-
setzung
, daß die Energie E aller Systeme zwischen E* und
dem
unendlich benachbarten Werte E* + E* liege. Aus
der
oben eingeführten Voraussetzung folgt sofort, daß die
Wahrscheinlichkeit
dafür, daß die Zustandsvariabeln eines zu-
fällig
herausgegriffenen der N Systeme in der Zeit t innerhalb
des
Gebietes liegen, den

habe. Die Zahl der Systeme, deren Zustandsvariable in der
Zeit
t innerhalb des Gebietes liegen, ist

also eine von der Zeit unabhängige Größe. Bezeichnet g ein
in
allen Variabeln unendlich kleines Gebiet der Koordinaten
p1 ...pn, so ist also die Anzahl der Systeme, deren Zustands-
variable
zu einer beliebigen Zeit das beliebig gewählte un-
endlich
kleine Gebiet g

(2)

Die Funktion gewinnt man, indem man die Bedingung
in
Zeichen faßt, daß die durch die Gleichung (2) ausgedrückte
Zustandsverteilung
eine stationäre ist. Es sei im speziellen
das
Gebiet g so gewählt, daß p1 zwischen den bestimmten
Werten
p1 und p1 + dp1, p2 zwischen p2 und p2 + dp2 ... pn
zwischen
pn und pn + dpn gelegen ist, dann ist für die Zeit t

wobei der Index von dN die Zeit bezeichnet. Mit Berück-
sichtigung
der Gleichung (1) erhält man ferner für die Zeit
t + dt und dasselbe Gebiet der

Da aber dNt = dNt + dt ist, da die Verteilung eine stationäre
ist
, so

Daraus ergibt

wobei d dt die Veränderung der Funktion log für ein
einzelnes
System nach der Zeit unter Berücksichtigung der
zeitlichen
Veränderung der Größen p

Man erhält

Die unbekannte Funktion ; ist die von der Zeit unabhängige
Integrationskonstante
, welche von den Variabeln p1 ... pn zwar
abhängen
, sie jedoch, nach der im § 1 gemachten Voraus-
setzung
, nur in der Kombination, wie sie in der Energie E
auftreten
, enthalten

Da aber = = konst. für alle N betrachteten
Systeme
ist, reduziert sich für unseren Fall der Ausdruck
für

Nach dem obigen ist

Der Einfachheit halber führen wir nun neue Zustands-
variabeln
für die betrachteten Systeme ein; sie mögen mit
bezeichnet
werden. Es ist

wobei das Symbol D die Funktionaldeterminante bedeutet.
--
Wir wollen nun die neuen Koordinaten so wählen,

werde. Diese Gleichung läßt sich auf unendlich viele Arten
befriedigen
, z. B. wenn man

Wir erhalten also unter Benutzung der neuen

Im folgenden wollen wir uns stets solche Variabeln eingeführt

§ 3. Über die Zustandsverteilung eines Systems, welches ein
System
von relativ unendlich großer Energie berührt.

Wir nehmen nun an, daß jedes der N isolierten Systeme,
aus
zwei Teilsystemen und , welche in Wechselwirkung
stehen
, zusammengesetzt sei. Der Zustand des Teilsystems
möge
durch die Werte der Variabeln II1 ... II, der Zustand
des
Systems durch die Werte der Variabeln 1 ... l be-
stimmt
sein. Ferner setze sich die Energie E, welche für
jedes
System zwischen den Werten E* E* + E* liegen
mag
, also bis auf unendlich kleines gleich E* sein soll, bis
auf
unendlich kleines, aus zwei Termen zusammen, von denen
der
erste H nur durch die Werte der Zustandsvariabeln von ,
der
zweite nur durch die der Zustandsvariabeln von be-
stimmt
sei, sodaß bis auf relativ unendlich kleines

Zwei in Wechselwirkung stehende Systeme, welche diese Be-
dingung
erfüllen, nennen wir zwei sich berührende Systeme.
Wir
setzen noch voraus, daß gegen H unendlich klein

Für die Anzahl dN1 der N-Systeme, deren Zustands-
variabeln
II1 ... II 1 ... l in den Grenzen zwischen
II1 und II1 + dII1, II2 und II2 + dII2 ... II II + dII
und
1 und 1 + d1, 2 und 2 + d2 ... l und 1 + dl
liegen
, ergibt sich der

wobei C eine Funktion von E = H + sein

Da aber nach der obigen Annahme die Energie eines
jeden
betrachteten Systems bis auf unendlich kleines den
Wert
E* besitzt, so können wir, ohne an dem Resultat etwas
zu
ändern, C durch konst. e-2 h E* = konst.e-2 h (H+) ersetzen,
wobei
h eine noch näher zu definierende Konstante bedeutet.
Der
Ausdruck für dN1 geht also über

Die Anzahl der Systeme, deren Zustandsvariabeln zwischen
den
angedeuteten Grenzen liegen, während die Werte der
Variabeln
II keiner beschränkenden Bedingung unterworfen
sind
, wird sich also in der

darstellen lassen, wobei das Integral über alle Werte der II
auszudehnen
ist, denen Werte der Energie H zukommen, welche
zwischen
E*- E* + E*- gelegen sind. Wäre die
Integration
ausgeführt, so hätten wir die Zustandsverteilung
der
Systeme gefunden. Dies ist nun tatsächlich

Wir

wobei die Integration auf der linken Seite über alle Werte
der
Variabeln zu erstrecken ist, für welche H zwischen den be-
stimmten
Werten E und E + E* liegt. Das Integral, welches
im
Ausdruck dN2 auftritt, nimmt dann die Form

oder, da gegen E* unendlich klein

Läßt sich also h so wählen, daß '(E*) = 0, so reduziert
sich
das Integral auf eine vom Zustand von unabhängige

Es läßt sich bis auf unendlich kleines

wo die Grenzen der Integration gleich sind wie oben, und
eine
neue Funktion von E

Die Bedingung für h nimmt nun die Form

Es sei h in dieser Weise gewählt, dann wird der Ausdruck
für
dN2 die Form

(3)

Bei geeigneter Wahl der Konstanten stellt dieser Ausdruck
die
Wahrscheinlichkeit dafür dar, daß die Zustandsvariabeln
eines
Systems, welches ein anderes von relativ unendlich großer
Energie
berührt, innerhalb der angedeuteten Grenzen liegen.
Die
Größe h hängt dabei lediglich vom Zustande jenes Systems
von
relativ unendlich großer Energie

§ 4. Über absolute Temperatur und Wärmegleichgewicht.

Der Zustand des Systems hängt also lediglich von der
Größe
h ab, und diese lediglich vom Zustande des Systems .
Wir
nennen die Größe 1 4hz = T die absolute Temperatur
des
Systems , wobei z eine universelle Konstante

Nennen wir das System ,,Thermometer“, so können wir
sofort
die Sätze

1. Der Zustand des Thermometers hängt nur ab von der
absoluten
Temperatur des Systems , nicht aber von der Art
der
Berührung der Systeme .

2. Erteilen zwei Systeme 1 und 2 einem Thermo-
meter
gleichen Zustand im Falle der Berührung, so be-
sitzen
sie gleiche absolute Temperatur, und erteilen folglich

einem anderen Thermometer ' im Falle der Berührung eben-
falls
gleichen

Seien ferner zwei Systeme 1 und 2 in Berührung mit-
einander
und 1 außerdem in Berührung mit einem Thermo-
meter
. Es hängt dann die Zustandsverteilung von ledig-
lich
von der Energie des Systems (1 + 2), bez. von der
Größe
h1,2 ab. Denkt man sich die Wechselwirkung von
1 und 2 unendlich langsam abnehmend, so ändert sich
dadurch
der Ausdruck für die Energie H1,2 des Systems
(1 + 2) nicht, wie leicht aus unserer Definition von der
Berührung
und dem im letzten Paragraphen aufgestellten Aus-
druck
für die Größe h zu ersehen ist. Hat endlich die
Wechselwirkung
ganz aufgehört, so hängt die Zustandsver-
teilung
von , welche sich während der Trennung von 1 und 2
nicht
ändert, nunmehr von 1 ab, also von der Größe h1;
wobei
der Index die Zugehörigkeit zum System 1 allein an-
deuten
soll. Es ist

Durch eine analoge Schlußweise hätte man erhalten

oder in Worten: Trennt man zwei sich berührende Systeme 1
und
2 welche ein isoliertes System (1 + 2) von der absoluten
Temperatur
T bilden, so besitzen nach der Trennung die nun-
mehrigen
isolierten Systeme 1 und 2 gleiche Temperatur.
Wir
denken uns ein gegebenes System mit einem idealen
Gase
in Berührung. Dieses Gas sei unter dem Bilde der
kinetischen
Gastheorie vollkommen darstellbar. Als System
betrachten
wir ein einziges einatomiges Gasmolekül von der
Masse
, dessen Zustand durch seine rechtwinkligen Koordi-
naten
x, y, z und die Geschwindigkeiten , , vollkommen
bestimmt
sei. Wir erhalten dann nach § 3 für die Wahr-
scheinlichkeit
, daß die Zustandsvariabeln dieses Moleküles
zwischen
den Grenzen x und x + dx ... und + d liegen,
den
bekannten Maxwellschen

Daraus erhält man durch Integration für den Mittelwert der
lebendigen
Kraft dieses

Die kinetische Gastheorie lehrt aber, daß diese Größe bei
konstantem
Volumen des Gases proportional dem vom Gase
ausgeübten
Drucke ist. Dieser ist definitionsgemäß der in
der
Physik als absolute Temperatur bezeichneten Größe pro-
portional
. Die von uns als absolute Temperatur bezeichnete
Größe
ist also nichts anderes als die mit dem Gasthermo-
meter
gemessene Temperatur eines

§ 5. Über unendlich langsame Prozesse.

Wir haben bisher nur Systeme ins Auge gefaßt, welche
sich
im stationären Zustande befanden. Wir wollen nun auch
Veränderungen
von stationären Zuständen untersuchen, jedoch
nur
solche, welche sich so langsam vollziehen, daß die in einem
beliebigen
Momente herrschende Zustandsverteilung von der
stationären
nur unendlich wenig abweicht; oder genauer ge-
sprochen
, daß in jedem Momente die Wahrscheinlichkeit, daß
die
Zustandsvariabeln in einem gewissen G liegen, bis
auf
unendlich kleines durch die oben gefundene Formel dar-
gestellt
sei. Eine solche Veränderung nennen wir einen un-
endlich
langsamen

Wenn die Funktionen (Gleichung (1)) und die Energie E
eines
Systems bestimmt sind, so ist nach dem vorigen auch
seine
stationäre Zustandsverteilung bestimmt. Ein unendlich
langsamer
Prozeß wird also dadurch bestimmt sein, daß sich
entweder
E ändert oder die Funktionen die Zeit explizite
enthalten
, oder beides zugleich, jedoch so, daß die entsprechen-
den
Differentialquotienten nach der Zeit sehr klein

Wir haben angenommen, daß die Zustandsvariabeln eines
isolierten
Systems sich nach Gleichungen (1) verändern. Um-
gekehrt
wird aber nicht stets, wenn ein System von Glei-
chungen
(1) existiert, nach denen sich die Zustandsvariabeln
eines
Systems ändern, dieses System ein isoliertes sein müssen.
Es
kann nämlich der Eall eintreten, daß ein betrachtetes
System
derart unter dem Einfluß anderer Systeme sich be-

findet, daß dieser Einfluß lediglich von Funktionen von ver-
änderlichen
Koordinaten beeinflussender Systeme abhängt, die
sich
bei konstanter Zustandsverteilung der beeinflussenden
Systeme
nicht ändern. In diesem Falle wird die Veränderung
der
Koordinaten p des betrachteten Systems auch durch ein
System
von der Form der Gleichungen (1) darstellbar sein.
Die
Funktionen werden aber dann nicht nur von der
physikalischen
Natur des betreffenden Systems, sondern auch
von
gewissen Konstanten abhängen, welche durch die beein-
flussenden
Systeme und deren Zustandsverteilungen definiert
sind
. Wir nennen diese Art von Beeinflussung des betrachteten
Systems
eine adiabatische. Es ist leicht einzusehen, daß für
die
Gleichungen (1) auch in diesem Falle eine Energiegleichung
existiert
, solange die Zustandsverteilungen der adiabatisch
beeinflussenden
Systeme sich nicht ändern. Ändern sich die
Zustände
adiabatisch beeinflussender Systeme, so ändern sich
die
Funktionen des betrachteten Systems explizite mit der
Zeit
, wobei in jedem Moment die Gleichungen (1) ihre Gültig-
keit
behalten. Wir nennen eine solche Änderung der Zustands-
verteilung
des betrachteten Systems eine

Wir betrachten nun eine zweite Art von Zustandsver-
änderungen
eines . Es liege ein System zu
Grunde
, welches adiabatisch beeinflußt sein kann. Wir nehmen
an
, daß das System in der Zeit t = 0 mit einem P
von
verschiedener Temperatur in solche Wechselwirkung trete,
wie
wir sie oben als ,,Berührungbezeichnet haben, und ent-
fernen
das System P nach der zum Ausgleich der Tempe-
raturen
von und P nötigen Zeit. Es hat sich dann die
Energie
von geändert. Während des Prozesses sind die
Gleichungen
(1) von ungültig, vor und nach dem Prozesse
aber
gültig, wobei die Funktionen vor und nach dem
Prozesse
dieselben sind. Einen solchen Prozeß nennen wir
einen
,,isopyknischenund die zugeführte Energie ,,zu-
geführte

Bis auf relativ unendlich kleines läßt sich nun offenbar
jeder
unendlich langsame Prozeß eines Systems aus einer
Aufeinanderfolge
von unendlich kleinen adiabatischen und iso-
pyknischen
Prozessen konstruieren, sodaß wir, um einen Gesamt-
überblick
zu erhalten, nur die letzteren zu studieren

§ 6. Über den Entropiebegriff.

Es liege ein physikalisches System vor, dessen momentaner
Zustand
durch die Werte der Zustandsvariabeln p1 ... pn voll-
kommen
bestimmt sei. Dieses System mache einen kleinen,
unendlich
langsamen Prozeß durch, indem die das System
adiabatisch
beeinflussenden Systeme eine unendlich kleine Zu-
standsveränderung
erfahren, und außerdem dem betrachteten
System
durch berührende Systeme Energie zugeführt wird.
Wir
tragen den adiabatisch beeinflussenden Systemen dadurch
Rechnung
, daß wir festsetzen, die Energie E des betrachteten
Systems
sei außer p1 ... pn noch von gewissen Para-
metern
1, 2 ... abhängig, deren Werte durch die Zustands-
verteilungen
der das System adiabatisch beeinflussenden Systeme
bestimmt
seien. Bei rein adiabatischen Prozessen gilt in
jedem
Moment ein Gleichungssystem (1), dessen Funktionen
außer
von den Koordinaten p auch von den langsam ver-
änderlichen
Größen abhängen; es gilt dann auch bei adia-
batischen
Prozessen in jedem Moment die Energiegleichung,
welche
die Form

Wir untersuchen nun die Energiezunahme des Systems während
eines
beliebigen unendlich kleinen, unendlich langsamen

Für jedes Zeitelement dt des Prozesses

(4)

Für einen unendlich kleinen isopyknischen Prozeß verschwinden
in
jedem Zeitelement sämtliche d, mithin auch das erste
Glied
der rechten Seite dieser Gleichung. Da aber dE nach
dem
vorigen Paragraphen für einen isopyknischen Prozeß als
zugeführte
Wärme zu betrachten ist, so ist für einen solchen
Prozeß
die zugeführte Wärme dQ durch den

Für einen adiabatischen Prozeß aber, während dessen
stets
die Gleichungen (1) gelten, ist nach der Energiegleichung

Andererseits ist nach dem vorigen Paragraphen für einen adia-
batischen
dQ = 0, sodaß auch für einen adiabatischen

gesetzt werden kann. Diese Gleichung muß also für einen
beliebigen
Prozeß in jedem Zeitelement als gültig betrachtet
werden
. Die Gleichung (4) geht also über

(4')

Dieser Ausdruck stellt auch bei veränderten Werten von d
und
von dQ die während des ganzen unendlich kleinen Prozesses
stattfindende
Veränderung der Energie des Systems

Am Anfang und am Ende des Prozesses ist die Zustands-
verteilung
des betrachteten Systems eine stationäre und wird,
wenn
das System vor und nach dem Prozesse mit einem
Systeme
von relativ unendlich großer Energie in Berührung
steht
, welche Annahme nur von formaler Bedeutung ist, durch
die
Gleichung definiert von der

wobei dW die Wahrscheinlichkeit dafür bedeutet, daß die
Werte
der Zustandsvariabeln des Systems in einem beliebig
herausgegriffenen
Zeitmoment zwischen den angedeuteten Grenzen
liegen
. Die Konstante c ist durch die Gleichung

(5)

wobei die Integration über alle Werte der Variabeln zu er-
strecken

Gelte Gleichung (5) speziell vor dem betrachteten Prozesse,
so
gilt nach

(5')

und aus den beiden letzten Gleichungen ergibt

oder, da bei der Integration der Klammerausdruck als eine
Konstante
gelten kann, da die Energie E des Systems vor
und
nach dem Prozesse sich nie merklich von einem bestimmten
Mittelwerte
unterscheidet, und unter Berücksichtigung von
Gleichung

(5'')

Nach Gleichung (4') ist

und durch Addition dieser beiden Gleichungen erhält

oder, da 14h = z .T

Diese Gleichung sagt aus, das dQ T ein vollständiges Differential
einer
Größe ist, welche wir die Entropie S des Systems nennen
wollen
. Unter Berücksichtigung von Gleichung (5) erhält man:

wobei die Integration über alle Werte der Variabeln zu er-
strecken

§ 7. Über die Wahrscheinlichkeit von Zustandsverteilungen.

Um den zweiten Hauptsatz in seiner allgemeinsten Form
herzuleiten
, müssen wir die Wahrscheinlichkeit von Zustands-
verteilungen

Wir betrachten eine sehr große Zahl (N) isolierte Systeme,
welche
alle durch das nämliche Gleichungssystem (1) darstellbar
seien
, und deren Energie bis auf unendlich kleines überein-
stimme
. Die Zustandsverteilung dieser N Systeme läßt sich
dann
jedenfalls darstellen durch eine Gleichung von der

(2')

wobei im allgemeinen von den Zustandsvariabeln p1 ... pn
und
außerdem von der Zeit explizite abhängt. Die Funktion
charakterisiert
hierbei die Zustandsverteilung

Aus § 2 geht hervor, daß, wenn die Zustandsverteilung
konstant
ist, was bei sehr großen Werten von t nach unseren

Voraussetzungen stets der Fall ist, = konst. sein muß, sodaß
also
für eine stationäre

Daraus folgt sofort, daß die Wahrscheinlichkeit dW dafür,
daß
die Werte der Zustandsvariabeln eines zufällig heraus-
gegriffenen
der N Systeme, in dem unendlich kleinen, innerhalb
der
angenommenen Energiegrenzen gelegenen Gebiete g der
Zustandsvariabeln
gelegen sind, der

Dieser Satz läßt sich auch so aussprechen: Teilt man das
ganze
in Betracht kommende, durch die angenommenen Energie-
grenzen
bestimmte Gebiet der Zustandsvariabeln in l Teil-
gebiete
g1,g2...gl derart,

und bezeichnet man mit W1, W2 etc. die Wahrscheinlichkeiten
dafür
, daß die Werte der Zustandsvariabeln des beliebig heraus-
gegriffenen
Systems in einem gewissen Zeitpunkt innerhalb
g1, g2... liegen, so

Das momentane Zugehören des betrachteten Systems zu einem
bestimmten
dieser Gebiete g1...gl ist also genau ebenso wahr-
scheinlich
, als das Zugehören zu irgend einem anderen dieser

Die Wahrscheinlichkeit dafür, daß von N betrachteten
Systeme
zu einer zufällig herausgegriffenen Zeit 1 zum Ge-
biete
g1, 2 zum Gebiete g2 ... l zum Gebiete gl gehören,
ist
also

oder auch, da 1, 2...n als sehr große Zahlen zu denken

Ist l groß genug, so kann man hierfür ohne merklichen Fehler

In dieser Gleichung bedeutet W die Wahrscheinlichkeit dafür,
daß
die bestimmte, durch die Zahlen 1,2...l, bez. durch
eine
bestimmte Funktion von p1...pn gemäß Gleichung (2')
ausgedrückte
Zustandsverteilung zu einer bestimmten Zeit

Wäre in dieser Gleichung = konst., d. h. von den p un-
abhängig
zwischen den betrachteten Energiegrenzen, so wäre
die
betrachtete Zustandsverteilung stationär, und, wie leicht
zu
beweisen, der Ausdruck für die Wahrscheinlichkeit W der
Zustandsverteilung
ein Maximum. Ist von den Werten der
pv abhängig, so läßt sich zeigen, daß der Ausdruck für log W
für
die betrachtete Zustandsverteilung kein Extremum besitzt,
d
. h. es gibt dann von der betrachteten Zustandsverteilung
unendlich
wenig verschiedene, für welche W größer

Verfolgen wir die betrachteten N Systeme eine beliebige
Zeit
hindurch, so wird sich die Zustandsverteilung, also auch W
beständig
mit der Zeit ändern, und wir werden anzunehmen
haben
, daß immer wahrscheinlichere Zustandsverteilungen auf
unwahrscheinliche
folgen werden, d. h. daß W stets zunimmt,
bis
die Zustandsverteilung konstant und W ein Maximum ge-
worden

In den folgenden Paragraphen wird gezeigt, daß aus
diesem
Satze der zweite Hauptsatz der Thermodynamik ge-
folgert
werden

Zunächst

wobei durch die Funktion die Zustandsverteilung der N Systeme
zu
einer gewissen Zeit t, durch die Funktion ' die Zustands-
verteilung
zu einer gewissen späteren Zeit t' bestimmt, und
die
Integration beiderseits über alle Werte der Variabeln zu
erstrecken
ist. Wenn ferner die Größen log und log ' der

einzelnen unter den N Systemen sich nicht merklich von ein-
ander
unterscheiden, so geht,

die letzte Gleichung über

(6)

§ 8. Anwendung der gefundenen Resultate auf einen
bestimmten
Fall.

Wir betrachten eine endliche Zahl von physikalischen
Systemen
1, 2..., welche zusammen ein isoliertes System
bilden
, welches wir Gesamtsystem nennen wollen. Die Systeme
1, 2... sollen thermisch nicht merklich in Wechselwirkung
stehen
, wohl aber können sie sich adiabatisch beeinflussen.
Die
Zustandsverteilung eines jeden der Systeme 1, 2..., die
wir
Teilsysteme nennen wollen, sei bis auf unendlich kleines
eine
stationäre. Die absoluten Temperaturen der Teilsysteme
können
beliebig und voneinander verschieden

Die Zustandsverteilung des Systems 1 wird sich nicht
merklich
von derjenigen Zustandsverteilung unterscheiden, welche
gelten
würde, wenn 1 mit einem physikalischen System von
derselben
Temperatur in Berührung stände. Wir können daher
dessen
Zustandsverteilung durch die Gleichung

wobei die Indizes (1) die Zugehörigkeit zum Teilsystem 1 an-
deuten

Analoge Gleichungen gelten für die übrigen Teilsysteme.
Da
die augenblicklichen Werte der Zustandsvariabeln der ein-
zelnen
Teilsysteme von denen der anderen unabhängig sind,
so
erhalten wir für die Zustandsverteilung des Gesamtsystems
eine
Gleichung von der

(7)

wobei die Summation über alle Systeme, die Integration über
das
beliebige in allen Variabeln des Gesamtsystems unendlich
kleine
Gebiet g zu erstrecken

Wir nehmen nun an, daß die Teilsysteme 1, 2... nach
einer
gewissen Zeit in beliebige Wechselwirkung zueinander
treten
, bei welchem Prozesse aber das Gesamtsystem stets
ein
isoliertes bleiben möge. Nach Verlauf einer gewissen Zeit
möge
ein Zustand des Gesamtsystems eingetreten sein, bei
welchem
die 1, 2... einander thermisch nicht
beeinflussen
und bis auf unendlich kleines sich im stationären
Zustand

Es gilt dann für die Zustandsverteilung des Gesamtsystems
eine
Gleichung, welche der vor dem Prozesse gültigen voll-
kommen
analog

(7')

Wir betrachten nun N solcher Gesamtsysteme. Für jedes
derselben
gelte bis auf unendlich kleines zur Zeit t die Glei-
chung
(7), zur Zeit t' die Gleichung (7'). Es wird dann die
Zustandsverteilung
der betrachteten N Gesamtsysteme zu den
Zeiten
t t' gegeben sein durch die

Auf diese beiden Zustandsverteilungen wenden wir nun die
Resultate
des vorigen Paragraphen an. Es sind hier sowohl

als auch

für die einzelnen der N Systeme nicht merklich verschieden,
sodaß
wir Gleichung (6) anwenden können, welche

oder indem man beachtet, daß die Größen 2h1 E1 - c1,
2
h2 E2 - c2,... nach § 6 bis auf eine universelle Konstante
mit
den Entropien S1, S2... der Teilsysteme

(8)

d. h. die Summe der Entropien der Teilsysteme eines isolierten
Systems
ist nach einem beliebigen Prozesse gleich oder größer
als
die Summe der Entropien der Teilsysteme vor dem Prozesse.

§ 9. Herleitung des zweiten Hauptsatzes.

Es liege nun ein isoliertes Gesamtsystem vor, dessen Teil-
systeme
W, M 1, 2... heißen mögen. Das System W,
welches
wir Wärmereservoir nennen wollen, besitze gegen das
System
M (Maschine) eine unendlich große Energie. Ebenso
sei
die Energie der miteinander in adiabatischer Wechsel-
wirkung
stehenden 1, 2... gegen diejenige der
Maschine
M unendlich groß. Wir nehmen an, daß die sämt-
lichen
Teilsysteme M, W, 1, 2... sich im stationären Zu-
stand

Es durchlaufe nun die Maschine M einen beliebigen Kreis-
prozeß
, wobei sie die Zustandsverteilungen der Systeme 1, 2...
durch
adiabatische Beeinflussung unendlich langsam ändere,
d
. h. Arbeit leiste, und von dem Systeme W die Wärme-
menge
Q aufnehme. Am Ende des Prozesses wird dann die
gegenseitige
adiabatische Beeinflussung der Systeme 1, 2...
eine
andere sein als vor dem Prozesse. Wir sagen, die
Maschine
M hat die Wärmemenge Q in Arbeit

Wir berechnen nun die Zunahme der Entropie der ein-
zelnen
Teilsysteme, welche bei dem betrachteten Prozeß ein-
tritt
. Die Zunahme der Entropie des Wärmereservoirs W be-
trägt
nach den Resultaten des § 6 - Q/T, wenn T die absolute
Temperatur
bedeutet. Die Entropie von M ist vor und nach
dem
Prozeß dieselbe, da das System M einen Kreisprozeß
durchlaufen
hat. Die Systeme 1, 2... ändern ihre Entropie
während
des Prozesses überhaupt nicht, da diese Systeme nur
unendlich
langsame adiabatische Beeinflussung erfahren. Die
Entropievermehrung
S'- S des Gesamtsystems erhält also
den

Da nach dem Resultate des Vorigen Paragraphen diese Größe
S'-S stets 0 ist, so

Diese Gleichung spricht die Unmöglichkeit der Existenz eines
Perpetuum
mobile zweiter Art

Bern, Januar

(Eingegangen 26. Januar 1903.)

----------